Von nationaler Identität und Erbschuld

Nach meinem Abitur boten mir meine Eltern ein Sabbatjahr an, welches ich nutzen sollte, um zu reisen und im Ausland zu arbeiten. Ein wunderbares Geschenk, das mein Leben nachhaltig beeinflusst hat.

Mit 18 Jahren hatte ich einen ersten Job im Disneyland Paris  – in einer ganze besondere Atmosphäre, eine gute Schule in Sachen Kundenorientierung und vor allem Begegnungen mit jungen Kollegen aus ganz Europa!

Die Personalabteilung hatte die tolle Idee, mich im „Fantasyland“ einzusetzen – im Dirndl (was man bei uns in Norddeuschland ja weniger trägt). Sehr klischeehaft, aber lustig war es trotzdem.

Ein Auslandsaufenthalt lehrt uns Unabhängigkeit, Offenheit, Selbstreflexion und im besten Falle Demut. Ein Leben in einem anderen Land spiegelt uns auch unsere eigene Herkunft und die Wahrnehmung dieser durch andere Kulturen.

In meinem Fall hatten diese Begegnungen viele unterschiedliche Facetten:

  • manchmal nervig: Treffen mit entnervten Eltern, die mich anfauchten: „Lerne zuerst Französisch richtig zu sprechen, bevor du mir sagst, was ich tun darf oder nicht“.
  • manchmal schmerzhaft: Kaffeepause mit einem jungen französischen Kollegen, aus völlig heiterem Himmel meint dieser: « Weisst Du, Du bist ja ganz niedlich und nett, aber deswegen mag ich Dich trotzdem nicht.» Ich daraufhin:« ??? Er: „Du bist Deutsche und Ihr Deutschen habt meinen Großvater umgebracht! „

Jetzt könnte man meinen, dass solche Kommentare Einzelfälle sind, Ausnahmen. Leider habe ich allerdings regelmäßig diese Art von Bemerkungen gehört, von Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechtes, mal mehr mal weniger hart, und doch hat es mich jedes Mal getroffen. Vor zwanzig Jahren waren die Wunden des Zweiten Weltkriegs noch wenig verheilt.

Schon während einer Klassenfahrt in Amsterdam, wo wir das Anne-Frank-Haus besuchten, blockierte uns eine Gruppe Jugendlicher den Gehsteig und nannte uns „Fxxxing Germans.“

Ein anderes bemerkenswertes Beispiel fand während einer Reise in die Vereinigten Staaten statt, wo ich eine Freundin besuchte. Als sie mich ihrer Gastmutter vorstellte, stiess die ganz spontan heraus: « Na Du hättest Hitler ja gefallen: groß, blond mit hellen Augen. » Ich denke, es war noch nicht mal böse gemeint, aber ich war doch sprachlos.

Diese Art von Kommentaren verwirrten mich häufig, so manches Mal empfand ich sie als verletzend. Sie hinterliessen in mir ein Schuldgefühl stellvertretend für das Land meiner Herkunft, fuer die furchtbaren Kriegsverbrechen. Manchmal machte diese Erbschuld mich auch richtig sauer,  denn schliesslich fand der Weltkrieg ja lange vor meiner Geburt statt.

Im letzten Jahr passierte mir Folgendes an unserem Wohnort in den französischen Bergen: Ich war mit meinen Kindern (damals 4 und 6 Jahre alt) im Freibad, wir unterhalten uns auf deutsch. Plötzlich werden die Jungs von zwei Männern auf französisch angemacht „Sprichst du Deutsch mit deiner Mutter? Deutsche Sprache – häßlich. Deutsch ist hässlich. » Ich war erst sprachlos und dann unglaublich wütend, vor allem wegen meiner Kinder, sollten wir ihnen nicht beibringen, dass kulturelle Vielfalt ein ungeheurer Reichtum sind? Ein Beispiel menschlicher Dummheit.

Beleidigungen aus heiterem Himmel, törichte Kommentare, stumpf übertragene Klischees, es sind die kleinen Dinge, die Diskriminierung im Alltag ausmachen. Und wenn ich mir die Stimmung seit meiner Rückkehr diesen Sommer in Deutschland so anschaue, sind es genau diese Diskriminierungen, denen Zugereiste hier zunehmend ausgesetzt sind.

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