Durch mein Leben in England und in Frankreich weiss ich, was es bedeutet, Ausländer zu sein. Ich war allerdings insofern privilegiert, dass ich die Landessprachen beherrschte und eine Arbeit hatte, dennoch war ich kulturfremd.
Nun bin ich zurück in Deutschland und beobachte als Mutter zweier Grundschüler das Thema Integration in der Schule.
Derzeit leben mehr als 82 Millionen Bürger und Bürgerinnen in der Bundesrepublik Deutschland – davon rund 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen leben bereits seit mehreren Jahrzehnten in Deutschland und haben ihr Leben entsprechend angepasst und sind ideale Vorbilder für gelungene Integration. Der Integrationsprozess ist jedoch ein langer Weg und schließt Diskriminierung und Rassismus leider noch immer nicht aus.
Neulich las ich eine Studie, die die Integration zwischen Frankreich und Deutschland verglich und zu dem Schluss kam, dass in Deutschland die Integration recht pragmatisch vor allem über eine Arbeit stattfindet, während in Frankreich der Fokus auf der Vermittlung der Werte der Republik liegt.
Natürlich ist die Beherrschung der Schlüssel zur Integration aber auch die Definition von Heimat erscheint mir ein wichtiger Faktor zu sein.
Hasel beschreibt das Klassenzimmer einer Klasse mit vielen Migranten: „Ich bin von dort, wo meine Füße stehen“ steht dort an der Wand. Darunter haben die Schüler ihre Namen gesetzt. Religion spielt dort eine untergeordnete Rolle. Die Traditionen der Maori und deren Werte sind der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.
In ihrem inspirierendem Buch „Der tanzende Direktor“ beschreibt Verena Frederike Hasel das neuseeländische Schulsystem, welches in Bildungsrankings weit vorne abschneidet. Neuseeland ist per Definition schon ein bikulturelles Land mit den Maori und den Pakeha (zu deutsch „weisser Geist“). Neuseeland ist ein junges Land, in dem Integration die Regel und nicht die Ausnahme ist.
Eine schöne Idee finde ich das Beispiel der „Kulturellen Projektwoche“ an einer Schule. Lehrer und Kinder, deren Eltern aus anderen Ländern stammen, tragen traditionelle Kleidung, zeigen ihre Länder auf der Weltkarte, üben traditionelle Tänze ein, sprechen über typische Traditionen, gegessen wird an einem Buffet, welches die Eltern mit landesüblichen Speisen füllen.
Auf einem anderen Schulhof haben Eltern einen Schulgarten angelegt mit heimischen Pflanzen aber auch Gemüse und Obst aus anderen – ihren eigenen – Herkunftsländern. Ganz nebenbei finden damit auch weniger integrierte Erwachsenen über eine sinnstiftende Aufgabe einen Zugang zu Ihrer neuen Heimat. Im Gegenzug wird Respekt erwartet, aber auch Respekt entgegengebracht. Die Schuldirektorin bringt den Menschen, mit denen sie zu tun hat, den Respekt entgegen, den sie selbst einfordert und kommt ihnen dort, wo es ihre eigenen Wertvorstellungen nicht berührt nicht berührt, bereitwillig entgegen. Das ist vielleicht ein entscheidender Unterschied – vielleicht haben wir hier in Deutschland aber auch in Frankreich manchmal zu sehr Angst, unsere Identität zu verlieren und pochen auf Prinzipien. Vielleicht könnten wir an mancher Stelle auf mehr Offenheit vertrauen, solange unsere Werte klar kommuniziert und respektiert werden. Respekt, Resilienz, Verantwortung und das Bewusstsein, Teil einer Gemeinschaft als solcher verantwortlich für das Funktionieren dieser zu sein, sind die Basis. Das kann an einer Schule gelten – genauso wie für eine ganze Gesellschaft.
Gegen diese Werte darf nicht verstossen werden. An anderer Stelle gibt es dafür Freiheiten und Toleranz für Individualität, beispielsweise, wie sich ein Schüler kleidet. Für das Miteinander an einer Schule bedeutet beispielsweise: Wer Respekt hat, beschädigt nicht die Ausstattung der Klassenräume. Wer Residenz hat, steht von selbst auf, wenn er hingefallen ist. Wer Verantwortung übernimmt, vertritt die Sekretärin in ihrer Mittagspause.
An anderer Stelle gibt es dafür Freiheiten und Toleranz für Individualität, beispielsweise, wie sich ein Schüler kleidet.
Unaufgeregte Integration kann stattfinden, wenn unterschiedliche Kulturen werden als Bereicherung empfunden, aber die Herkunft eines Menschen nicht als alles entscheidendes Merkmal empfunden wird. Weder im Guten noch im Schlechten. Wenn Schüler sich beschreiben sollen, reicht es nicht, zu antworten: Ich komme aus Ägypten. Sie werden aufgefordert, weitere Eigenschaften und Besonderheiten von sich zu beschreiben, zB. Ich bin gut in Sport. Ich bin ein netter großer Bruder, usw.
Laut Verena Hasel lässt man in Neuseeland nicht zu, dass sich Menschen wegen ihrer Herkunft schlecht fühlen, sie dürfen sie umgekehrt aber auch nicht erhöhen. Kinder werden ermutigt, ein Bewusstsein für die eigene Person zu entwickeln, was sich nicht nur über einen Ort definiert. Die Schüler sollen sich nicht nur auf Ihre Herkunft zurückziehen, wenn sie nach Neuseeland gehören wollen, sondern sie bringen sich als ganzheitliche Persönlichkeit ein, mit all ihren Eigenschaften, Talenten und Schwächen.
An Schulen hängen dort mit einer selbstverständlichen Natürlichkeit Fahnen für die Nationalitäten der Kinder. „Man feiert, woher diese Kinder kommen, aber mindestens genauso feiert man ihr Bestreben, in Neuseeland anzukommen.“(Quelle: Der tanzenden Direktor, S. 130)
In Deutschland und Frankreich wird viel diskutiert, ob man christliche Symbole im Klassenzimmer aufhängen darf, ob und welche Flaggen gehisst werden, es bestehen Berührungsängste, die zu Grundsatzfragen werden. Vielleicht ist das aber letzten Endes gar nicht so entscheidend?
Ich empfinde die oben genannten Beispiele jedenfalls als eine schöne Symbolik für gelungene Integration. Integration, die mit Selbstbewusstsein, Offenheit und Toleranz über Werte transportiert wird.
Eine bemerkenswerte Frau, die sich aufgrund ihrer eigenen Geschichte fuer Gesellschaft einsetzt, friedvoll und respektvoll miteinander umgeht, einander akzeptiert und in der Rassismus und andere Formen der Diskriminierung keine Chance haben, ist Gloria Boateng. Ihr Buch über ihre Lebensgeschichte und wie Lernen hilft, Hürden zu überwinden, ist mein zweiter Buchtipp. Sie hat in ihrer Heimatstadt Hamburg die Bildungsinitiative Schlaufox gegründet und unterstützt sozioökonomisch benachteiligte Kinder und Jugendliche. Ein tolles Beispiel.