Die Dame, die deutsch sprechen konnte

Es gibt im Leben Begegnungen, die uns so sehr berühren, dass wir sie für immer in unserem Herzen aufbewahren. .

Als Gymnasiast nahm ich an einem Austausch mit einer polnischen Schule teil – eine Woche Krakau, ohne auch nur ein Wort polnisch zu sprechen. Ich wurde sehr herzlich von meiner Gastfamilie begrüßt. Sie hatten das Zimmer der Tochter für mich geräumt und schliefen zu dritt im Wohnzimmer geschlafen. Nie wieder habe ich innerhalb weniger Tage soviel gegessen, die Gastfreundschaft war einfach wunderbar.

Neben dem interkulturellen Austausch stand natürlich auch Geschichte auf dem Programm. So besuchten wir das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Ich erschauere immer noch, wenn ich an diese Ausstellungsräume denke, die deckenhoch mit Haaren von den Internierten und ihren persönlichen Habseligkeiten gefüllt sind. Diesen Ort des Grauens vergisst man nie wieder.

Am Ende des Aufenthaltes schlendere ich mit drei deutschen Mitschülerinnen durch die Krakauer Innenstadt. Da Markttag ist, kommen wir auf die Idee, Blumensträuße als Dankeschön für unsere Gastfamilien zu kaufen. Keine leichte Aufgabe ohne ein Wort polnisch zu können. So gestikulieren wir also vor einem Blumenstand, um uns verständlich zu machen, als hinter uns eine Stimme auf Deutsch zu uns sagt: « Kann ich Ihnen weiterhelfen?“ Wir drehen uns um und vor uns steht eine alte, zierliche, elegante Dame und lächelt uns freundlich an. In nahezu perfektem Deutsch fragt sie uns, woher wir kommen, was wir in Polen machen usw. Sie findet es gut, dass unsere Schule an diesem Austauschprogramm teilnimmt, damit unsere Völker sich besser kennenlernen.

Naiv wie wir sind, fragen wir sie, woher sie so gut Deutsch spricht. Daraufhin zieht sie den Ärmel ihres Mantels hoch, sodass wir die eintätowierte Nummer des KZ-Häftlings sehen. Die Dame erzählt uns von ihrer Internierung als kleines Mädchen in Auschwitz. Sie musste dort deutsch lernen, um mit deutschen Soldaten zu kommunizieren. Ihre Eltern kamen im Lager ums Leben.

Ich empfinde gegenüber dieser Dame eine grosse Demut. Sie nutzte die Sprache, die ihre Scharfrichter ihr aufgezwungene hatten, um für uns zu übersetzen. Sie strahlte dabei eine solche Freundlichkeit aus, obwohl sie jedes Recht gehabt hätte, niemals mehr mit einem Deutschen sprechen zu wollen.

Ich habe seither oft an sie gedacht – besonders in Situationen, in denen ich mit dieser « deutschen Erbschuld“ konfrontiert war. Diese Geste der Versöhnung eines Opfers habe ich als grosses Geschenk und wichtiges Erbe empfunden.

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