Ich habe meinen Vater gebeten, ein paar Anekdoten aus der Zeit des geteilten Deutschlands aufzuschreiben. Es handelt sich hier selbstverständlich um ganz persönliche, individuelle Erinnerungen, die nur einen kleinen Ausschnitt der damaligen Welt abbilden aber doch aufschlussreich sind:
„Mitte der 60er Jahre reisten wir erstmals zum Verwandtenbesuch in die damalige DDR. Wir konnten noch nicht ahnen, welche Eindrücke diese und die weiteren Besuchsfahrten in den folgenden Jahren bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten bei uns hinterlassen würden.
Ich beginne mit den bürokratischen Einreiseformalitäten sowie des Ablaufs der Einreise in die DDR. Zunächst mussten unsere Gastgeber in der DDR bei den dortigen Behörden Formblätter anfordern, auf denen wir anschliessend gewissenhaft beantworten mussten, wieso, weshalb, warum wir in die DDR reisen wollten. Ausserdem wurde ausgiebig nach unserer privaten und beruflichen Situation gefragt. Ebenso galt es zuzusichern, dass wir über die Art und Höhe des „Eintrittsgeldes“ (nein, so durften wir das natürlich nicht offiziell nennen!), also des sogenannten Mindestumtauschs von 25 Westmark gegen 25 Ostmark (welche nur 1/4 des DM-Marktwertes besass) pro Person pro Aufenthaltstag informiert seien und diese Summe auch entsprechend entrichten würden… Desweiteren verpflichteten wir uns zu unserer sofortigen Anmeldung bei der örtlichen Polizei unseres Besuchsortes.
Die ausgefüllten Formblätter wurden dann an unsere Gastgeber zurückgeschickt, die diese wiederum bei den DDR-Behörden ihres Wohnortes zwecks Genehmigung der Einreise und Erteilung er Besuchserlaubnis einreichen musste. Wurde dieses alles positiv beschieden, stand unserer Einreise nach Empfang der Papiere nichts mehr entgegen.“
Ihr seht es schon, da war wenig Freiraum für spontane Besuche! Weiter gehts:
„So machten wir uns auf den Weg zu unserer Verwandtschaft in Brandenburg.Wir kamen zur Grenzkontrolle. Dort leuchtet ein rotes Licht an einem Schild „Halt bei geschlossener Schranke“. Allerdings befand sich die Schranke etwa 200m hinter dieser Ampel. Warum sollten wir also hier an der Ampel warten obwohl der Weg zur Schranke frei war? Bei der Schranke stand ein kleines Wärterhäuschen, bei dem allerdings niemand zu sehen war. Wir warteten.
Endlich kam ein uniformierter Grenzposten aus dem Häuschen, stellte sich breitbeinig mit dem Gesicht zu uns mitten auf die Fahrbahn, hängte lässig seine beiden Daumen in das Koppel seiner Uniform und starrte uns an.
Ich fuhr also langsam an und hielt dann mit geöffneter Seitenscheibe neben dem Grenzer. Dieser fragte uns ungehalten, warum wir die rote Ampel missachtet hätten. Anfahren sei nur bei grüner Ampelphase erlaubt. So befahl er uns wieder zur Ampel zurückzufahren und dort auf das grüne Licht zu warten.
Das fing ja gut an. Wir hatten im Vorfeld von allerlei Schikanen an der „Staatsgrenze West“ der DDR gehört – so nannten DDR-Politiker diesen verrückten Zaun inmitten des deutschen Volkes. Der Posten war derweil wieder in seinem Häuschen verschwunden und liess uns warten. Erst nach gut 10 Minuten schaltete die Ampel auf Grün, der Posten kam heraus und fuchtelte wild mir den Armen, wir sollten zu ihm auffahren. Wortlos gehorchten wir seiner Aufforderung, das Auto zu verlassen und mit den Papieren in das Häuschen zu gehen. Dort lieferten wir die Papiere ab, bekamen ein paar Stempel – und fertig.
Ich fragte noch, wo wir denn den Zwangsumtausch vornehmen könnten. Der Grenzer blaffte daraufhin böse zurück, dass uns niemand zwingen würde, in die DDR einzureisen, und dass es sich um einen „Mindestumtausch“ handele. Dieser sei zu zahlen, damit die DDR die Strassen in Ordnung halten könne, die die Westdeutschen mit ihren Luxusschlitten kaputt machen würden.“
Herzlich Willkommen in der DDR! (Fortsetzung folgt)