Das geteilte Land – Erinnerungen 3

Um die DDR so weit wie möglich von politischen Belastungen durch den Reiseverkehr abzuschirmen, mussten sogenannte „Geheimnisträger“ in Behörden, Betrieben und bewaffneten Organen sich schriftlich verpflichten, keine Kontakte zu westlichen Verwandten und Bekannten mehr zu unterhalten. Als „Geheimnisträger“ galten dabei auch schon die Inhaber untergeordneter Positionen wie zB. Pförtner von Amtsgebäuden oder Platzwarte staatlicher Kohlenhandlungen.

Bei Familienfeiern mussten die Gastgeber deshalb oft wählen, ob sie lieber den Neffen, der gerade seine Wehrpflicht bei der Volksarmee leistet oder die Verwandten aus dem Westen einladen wollen. Beides ging nicht.

Die Kontaktverbote wurden streng überwacht und doch nicht immer eingehalten. Der Westbesuch in der eigenen Wohnung, das Westauto vor der Haustür blieb nicht verborgen. Irgendein Nachbar berichtete immer, und dann folgten der Hinweis auf die geleistete Unterschrift, die Rüge durch den Vorgesetzten oder Parteifunktionäre.

So trafen sich vermeintliche Geheimnisträger mit Freuden und Verwandten aus dem Westen in Restaurants oder zu Spaziergängen oder aber sie baten den Besuch, den Volkswagen zwei Strassen weiter zu parken. Wir wurden bei diesen Treffen oft nach politischen Meinungen oder Reaktionen, Trends und Hoffnungen aus dem Westen gefragt. Wer aufgrund seiner Funktion ständig der hauseigenen Propaganda ausgesetzt ist, der hat ein grosses Bedürfnis nach unverfälschten Berichten. Informationen sind wichtiger als Geschenke.

Auch unter unseren Verwandten gab es ein Ehepaar, das durch seine Funktion unter die Kategorie der sogenannten „Geheimnisträger“ fiel – allerdings war uns dies einige Jahre gar nicht bewusst. Eines Tages aber teilten sie uns zu unserer Überraschung mit, dass sie keinerlei Kontakte mehr mit uns unterhalten dürften. Uns gegenüber wurde angedeutet, dass beide Personen von den Sicherheitsorganen der DDR zu Berichten über den Ablauf unserer Besuche bei Ihnen, zu unseren Meinungen über ihr Land und zu unseren beruflichen Stellungen in Westdeutschland aufgefordert worden waren. Wenn sie diese Berichte nicht ablieferten, hätten sie mit grossen beruflichen Problemen zu rechnen. Wir haben diese Kontaktsperre respektiert und verkehrten zu Ihnen nur noch mündlich über ihre Eltern.

Zu Beginn der 70er Jahre – einige Jahre des Kontaktverbotes waren schon vorübergezogen – bekam ich über eine dritte Person von unseren beiden Verwandten den Wunsch nach einem Gespräch übermittelt. Ein Treffen wäre sehr wichtig, denn es sei eine Gefährdungssituation sowohl für die Beiden als auch für mich selbst eingetreten.

Auf verborgenen Wegen habe ich dann mit unserer Verwandten ein persönliches Treffen in einem Ost-Berliner Café vereinbart. Zu diesem Zweck reiste ich zur Tarnung mit einem Tagesvisum von West- nach Ost-Berlin ein. Meine Verwandte kam von ihrem Wohnort nach Ost-Berlin. Sie teilte mir dort mit, dass eine Dienststelle des Staatssicherheitdienstes (kurz Stasi genannt) ihr und ihrem Mann mehrere von diesem Dienst gefertigte Beurteilungen vorgelegt hätte, die sie hätten unterschreiben sollen.

Diese Beurteilungen beinhalteten ua. Einzelheiten über angeblich von mir geäußerte Informationen zu meiner beruflichen Tätigkeit als Kriminalbeamter einer größeren Dienststelle in Westdeutschland, sowie über die personelle und materielle Ausstattung dieser Behörde. Es handelte sich hierbei um durchaus korrekte Informationen, die ich aber niemals gegenüber irgendeiner Person der DDR geäußert habe. Ich konnte also sicher sein, dass diese durchaus richtigen Angaben nur durch Überwachung meiner Person der Stasi bekannt sein konnten. Unsere Verwandte hatte unterdessen die Unterzeichnung dieser Berichte verweigert, da sie selbst diese Kenntnisse nie hatte. Nun hatte sie aber grosse Befürchtungen, ihrerseits weiter von der Stasi in die Mangel genommen zu werden und sowohl private als auch berufliche Stolpersteine in den Weg gelegt zu bekommen.

Zuletzt teilte sie mir noch mit, dass ich im Auftrag der Stasi über einen weiteren Verwandten eine Besuchserlaubnis weitergeleitet bekommen würde. Mir würde der Zwangsumtausch erlassen werden, eine problemlose Einreise mit dem Auto sei ebenfalls gewährleistet. Es deutete also alles daraufhin, dass die Stasi nunmehr näheren Kontakt zu mir aufnehmen wollte.

Bei meiner Rückkehr habe ich meiner vorgesetzten Dienststelle, dem zuständigen Innenministerium, von diesem Treffen berichtet. Daraufhin setzten seitens der westdeutschen Dienststelle Ermittlungen nach der Informationsquelle in Gang. Ich habe nie Kenntnis über das Ergebnis dieser Überprüfungen erhalten. Allerdings erhielten meine Familie und ich ein sofortiges einsetzendes Besuchs- und Reiseverbot in die DDR sowie den gesamten restlichen Ostblock.

Ab da hielten wir nur noch brieflichen Kontakt zu unserer Verwandtschaft in der DDR.

 

 

 

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